Jetzt bin ich schon fast einen Monat hier in Mexiko. Oder
erst. Lange genug jedenfalls, um mir der Wichtigkeit einiger Dinge bewusst
geworden zu sein, die ich zu Hause immer als selbstverständlich angesehen habe.
Hier sind einige dieser Dinge ganz und gar nicht selbstverständlich. Um
Gegenstände, die schon in die Kategorie Luxus fallen (wie Waschmaschine, [schnelle]
Internetverbindung, mindestens zwanzig
verschiedene Fernsehprogramme, Spielzeuge,…) soll es hier gar nicht gehen. Die Rede
ist von viel grundlegenderen Sachen, über die wir uns als Bürger in der BRD gar
keine großen Gedanken machen müssen. Ich kann natürlich in all meinen
Beobachtungen immer nur für die Orte sprechen, an denen ich mich bis jetzt
aufgehalten habe. Aber aus Unterhaltungen mit Mexikanern kann ich nur vermuten,
dass die Zustände wohl im ganzen Land ähnlich sind.
Für die meisten bzw. alle Menschen hier, sowohl auf dem Land
als auch in der Stadt, ist es normal, dass überall streunende Straßenhunde
herumlungern. In der Stadt zerbeißen sie nachts die Mülltüten, die für die
Abholung bereit liegen, und zerstreuen den Müll in den Straßen. Auf den Dörfern
streunen sie meist in großen Gruppen durch die Gegend, oft knurren sie böse und
angriffslustig und man sollte sie vor allem wegen der Tollwut meiden. Nachts
liefern sie sich außerdem unglaublich lautstarke Kämpfe und vermehren sich
natürlich rasant. Zum Glück haben wir das in Deutschland nicht, habe ich mir
gedacht. Aber warum eigentlich nicht? Ich war ein bisschen schockiert dass ich
nicht mal wusste, ob sich bei uns jemand um streunende Hunde kümmert, und wer.
Der Deutsche Tierschutzbund sagt dass es in Deutschland seit langer Zeit keine
Straßenhunde mehr gibt. Wenn, dann handelt es sich um ausgesetzte Hunde die
dann sobald sie irgendwo gemeldet wurden gleich eingefangen und ins Tierheim
gebracht werden. Klar – ist doch selbstverständlich…
Warmwasser, Heizung, Straßen. Heizung ist hier noch mehr
Fehlanzeige als Warmwasser. Gut, wäre auch nicht unbedingt notwendig für die
zwei Monate in denen es hier mal ein bisschen kalt ist. Außerdem müssten die
Häuser dann erst mal richtig isoliert sein. Hier zieht es nämlich wirklich aus
jedem Loch – und das war in Oaxaca genauso, obwohl die Häuser in der Stadt ein
bisschen moderner sind. Ich würde sagen was das angeht sind wir etwas verwöhnt –
oder wer hat noch nie bei 8 Grad Heizung oder Ofen angemacht? Hier läuft bzw.
sitzt man dann wenn es kalt ist im Haus eben mit Winterjacke rum und trinkt
Kaffee… Und was das warme Wasser angeht… In Oaxaca hatte ich zwar theoretisch
die Möglichkeit per Schalter auf warmes Wasser in der Dusche umzustellen –
praktisch ist dieses Projekt aber leider meist kläglich gescheitert. Und hier
hat man warmes Wasser, wenn der Schlauch in der Sonne gelegen war und das
Wasser dadurch aufgeheizt wurde oder wenn man einen Eimer voll Wasser etwa eine
halbe Stunde mit einem Heizstab erhitzt. Schade ist, dass die Gegend hier
perfekt wäre für Solarstrom – nur leider ist das für die Menschen hier viel zu
teuer. Die Regierung fördert keine privaten Solarprojekte und so bleibt diese
Ressource leider ungenutzt.
Die „Straßen“ sind eine Katastrophe! In der Stadt ist es
noch in Ordnung, aber umso weiter man raus fährt um so schlimmer wird es. Man
müsste echt erst einmal ein neues Wort erfinden um das hier zu beschreiben. Von
Teer kann in den Dörfern keine Rede sein und Schlagloch ist leicht untertrieben
um die rießigen Furchen zu beschreiben die einem das Essen im Magen
durcheinander rumpeln wenn man drüber fährt. Da muss ich jetzt schon über mich
selber schmunzeln, wenn ich dran denke dass ich mich immer über die schlechte
Straße zwischen Karlstadt und Himmelstadt beschwere! Und von Verkehrsregeln
kann hier auch nicht wirklich die Rede sein. Keiner kann einem so genau sagen
ob es überhaupt welche gibt – und einhalten tut sie erst Recht niemand.
Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit. Ja, ich bin übertrieben
pünktlich, ich weiß. Aber glaubt mir, euer aller Toleranzgrenze was
Pünktlichkeit betrifft würde hier extrem auf die Probe gestellt werden. Ich
würde mal sagen in Deutschland geht man nach einer halben Stunde Wartezeit
langsam schon mal davon aus dass man versetzt wurde – hier versucht man die
vermisste Person vielleicht mal nach zwei Stunden zu erreichen. Eine weitere
dreiviertel Stunde später trifft sie dann vielleicht ein. Mit Uhrzeiten hat man
es hier nicht so. Selbst bei offiziellen Verabredungen mit Behörden oder
ähnlichem nehmen es die meisten nicht so genau. Alles verläuft sehr spontan und
entspannt – bloß keine Hektik bitte! Das betrifft übrigens auch Busfahrzeiten
und ähnliches. Die Linienbusse und öffentlichen Verkehrsmittel haben in der
Regel keine Fahrpläne – man stellt sich an die Haltestelle und wartet. Irgendwann
kommt schon ein Bus. Meistens fahren sie erst ab, wenn genügend Mitfahrer da
sind damit sich die Fahrt auch wirklich lohnt.
Und zu guter Letzt die gravierendste Selbstverständlichkeit:
Sicherheit. In der Regel muss man sich bei uns als Politiker (vor allem in Gemeinden
und Landkreisen) nicht ernsthaft Sorgen um sein Leben und das seiner Familie
machen. Zumindest nicht aufgrund der politischen Orientierung. Hier ist das
anders. Sobald man sich politisch engagiert und Stellung bezieht lebt man
permanent in Angst. Was in Oaxaca in den letzten vier Jahren passiert ist
entspricht wohl eher einer Ausnahme – es gab viele politische Morde und
Menschenrechtsverletzungen. Aber auch in so ziemlich allen Nachbardörfern von
Santa Catarina Minas wurde schon einmal ein Presidente (sowas wie
Bürgermeister) von den Bewohnern seines Dorfes umgebracht weil die Leute mit
irgendeiner Entscheidung unzufrieden waren. Und mit „die Leute“ ist nicht einmal
die Mehrheit gemeint, sondern in den meisten Fällen nur die politische Opposition.
Auch mein Gastvater hat ständig Angst dass ihm oder seiner Familie etwas
passiert denn so viele Unterstützer er auch hat, so viel Missgunst schlägt ihm
von anderer Seite entgegen.
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