Über mich

Oaxaca, Mexico
Mal wieder hat mich das Fernweh gepackt. Dieses Mal geht es für drei Monate nach Mexiko. Damit ich nicht wieder sämtliche E-Mail Postfächer mit meinen Reiseberichten sprenge, werde ich euch ab sofort hier auf dem Laufenden halten. Viel Spaß!

Donnerstag, 16. Dezember 2010

Aber selbstverständlich!

Jetzt bin ich schon fast einen Monat hier in Mexiko. Oder erst. Lange genug jedenfalls, um mir der Wichtigkeit einiger Dinge bewusst geworden zu sein, die ich zu Hause immer als selbstverständlich angesehen habe. Hier sind einige dieser Dinge ganz und gar nicht selbstverständlich. Um Gegenstände, die schon in die Kategorie Luxus fallen (wie Waschmaschine, [schnelle] Internetverbindung, mindestens  zwanzig verschiedene Fernsehprogramme, Spielzeuge,…) soll es hier gar nicht gehen. Die Rede ist von viel grundlegenderen Sachen, über die wir uns als Bürger in der BRD gar keine großen Gedanken machen müssen. Ich kann natürlich in all meinen Beobachtungen immer nur für die Orte sprechen, an denen ich mich bis jetzt aufgehalten habe. Aber aus Unterhaltungen mit Mexikanern kann ich nur vermuten, dass die Zustände wohl im ganzen Land ähnlich sind.

Für die meisten bzw. alle Menschen hier, sowohl auf dem Land als auch in der Stadt, ist es normal, dass überall streunende Straßenhunde herumlungern. In der Stadt zerbeißen sie nachts die Mülltüten, die für die Abholung bereit liegen, und zerstreuen den Müll in den Straßen. Auf den Dörfern streunen sie meist in großen Gruppen durch die Gegend, oft knurren sie böse und angriffslustig und man sollte sie vor allem wegen der Tollwut meiden. Nachts liefern sie sich außerdem unglaublich lautstarke Kämpfe und vermehren sich natürlich rasant. Zum Glück haben wir das in Deutschland nicht, habe ich mir gedacht. Aber warum eigentlich nicht? Ich war ein bisschen schockiert dass ich nicht mal wusste, ob sich bei uns jemand um streunende Hunde kümmert, und wer. Der Deutsche Tierschutzbund sagt dass es in Deutschland seit langer Zeit keine Straßenhunde mehr gibt. Wenn, dann handelt es sich um ausgesetzte Hunde die dann sobald sie irgendwo gemeldet wurden gleich eingefangen und ins Tierheim gebracht werden. Klar – ist doch selbstverständlich…

Warmwasser, Heizung, Straßen. Heizung ist hier noch mehr Fehlanzeige als Warmwasser. Gut, wäre auch nicht unbedingt notwendig für die zwei Monate in denen es hier mal ein bisschen kalt ist. Außerdem müssten die Häuser dann erst mal richtig isoliert sein. Hier zieht es nämlich wirklich aus jedem Loch – und das war in Oaxaca genauso, obwohl die Häuser in der Stadt ein bisschen moderner sind. Ich würde sagen was das angeht sind wir etwas verwöhnt – oder wer hat noch nie bei 8 Grad Heizung oder Ofen angemacht? Hier läuft bzw. sitzt man dann wenn es kalt ist im Haus eben mit Winterjacke rum und trinkt Kaffee… Und was das warme Wasser angeht… In Oaxaca hatte ich zwar theoretisch die Möglichkeit per Schalter auf warmes Wasser in der Dusche umzustellen – praktisch ist dieses Projekt aber leider meist kläglich gescheitert. Und hier hat man warmes Wasser, wenn der Schlauch in der Sonne gelegen war und das Wasser dadurch aufgeheizt wurde oder wenn man einen Eimer voll Wasser etwa eine halbe Stunde mit einem Heizstab erhitzt. Schade ist, dass die Gegend hier perfekt wäre für Solarstrom – nur leider ist das für die Menschen hier viel zu teuer. Die Regierung fördert keine privaten Solarprojekte und so bleibt diese Ressource leider ungenutzt. 

Die „Straßen“ sind eine Katastrophe! In der Stadt ist es noch in Ordnung, aber umso weiter man raus fährt um so schlimmer wird es. Man müsste echt erst einmal ein neues Wort erfinden um das hier zu beschreiben. Von Teer kann in den Dörfern keine Rede sein und Schlagloch ist leicht untertrieben um die rießigen Furchen zu beschreiben die einem das Essen im Magen durcheinander rumpeln wenn man drüber fährt. Da muss ich jetzt schon über mich selber schmunzeln, wenn ich dran denke dass ich mich immer über die schlechte Straße zwischen Karlstadt und Himmelstadt beschwere! Und von Verkehrsregeln kann hier auch nicht wirklich die Rede sein. Keiner kann einem so genau sagen ob es überhaupt welche gibt – und einhalten tut sie erst Recht niemand.

Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit. Ja, ich bin übertrieben pünktlich, ich weiß. Aber glaubt mir, euer aller Toleranzgrenze was Pünktlichkeit betrifft würde hier extrem auf die Probe gestellt werden. Ich würde mal sagen in Deutschland geht man nach einer halben Stunde Wartezeit langsam schon mal davon aus dass man versetzt wurde – hier versucht man die vermisste Person vielleicht mal nach zwei Stunden zu erreichen. Eine weitere dreiviertel Stunde später trifft sie dann vielleicht ein. Mit Uhrzeiten hat man es hier nicht so. Selbst bei offiziellen Verabredungen mit Behörden oder ähnlichem nehmen es die meisten nicht so genau. Alles verläuft sehr spontan und entspannt – bloß keine Hektik bitte! Das betrifft übrigens auch Busfahrzeiten und ähnliches. Die Linienbusse und öffentlichen Verkehrsmittel haben in der Regel keine Fahrpläne – man stellt sich an die Haltestelle und wartet. Irgendwann kommt schon ein Bus. Meistens fahren sie erst ab, wenn genügend Mitfahrer da sind damit sich die Fahrt auch wirklich lohnt. 

Und zu guter Letzt die gravierendste Selbstverständlichkeit: Sicherheit. In der Regel muss man sich bei uns als Politiker (vor allem in Gemeinden und Landkreisen) nicht ernsthaft Sorgen um sein Leben und das seiner Familie machen. Zumindest nicht aufgrund der politischen Orientierung. Hier ist das anders. Sobald man sich politisch engagiert und Stellung bezieht lebt man permanent in Angst. Was in Oaxaca in den letzten vier Jahren passiert ist entspricht wohl eher einer Ausnahme – es gab viele politische Morde und Menschenrechtsverletzungen. Aber auch in so ziemlich allen Nachbardörfern von Santa Catarina Minas wurde schon einmal ein Presidente (sowas wie Bürgermeister) von den Bewohnern seines Dorfes umgebracht weil die Leute mit irgendeiner Entscheidung unzufrieden waren. Und mit „die Leute“ ist nicht einmal die Mehrheit gemeint, sondern in den meisten Fällen nur die politische Opposition. Auch mein Gastvater hat ständig Angst dass ihm oder seiner Familie etwas passiert denn so viele Unterstützer er auch hat, so viel Missgunst schlägt ihm von anderer Seite entgegen. 

Auch haben die Menschen hier extrem Angst davor, im Haus überfallen zu werden. Sowohl in Oaxaca als auch hier auf dem Dorf reagierten die Mitglieder meiner Gastfamilien extrem nervös wenn unangekündigt Besuch an der Tür klopfte. Jede Familie hat Hunde – und nicht weil sie sie einfach süß finden, sondern weil die Hunde das Haus bewachen. Selbst hier im Dorf sind den ganzen Tag und die ganze Nacht insgesamt neun Polizisten auf Streife unterwegs weil die Menschen Angst vor Überfällen haben – wahrscheinlich berechtigt. Allerdings ist von der Polizei hier auch nicht viel Hilfe zu erwarten. Wie so ziemlich alles und jeder hier (hab ich mir sagen lassen) ist die Polizei korrupt. Wenn sie dich auf der Straße anhält findet der Polizist sicher etwas wegen dem er einen Strafzettel ausstellen kann – aber das kann er auch schnell wieder vergessen wenn stattdessen ein Scheinchen für ihn persönlich rausspringt. In Oaxaca wurde ein Mitschüler von mir nachts auf der Straße von der Polizei überfallen. Sie haben ihm alles abgenommen – Geld, Ausweis, Handy, Schlüssel. Über den Spruch „Die Polizei –dein Freund und Helfer“ können die Leute hier denke ich wirklich nur laut Lachen! So, ich hoffe diese Vergleiche waren interessant für euch und ihr wisst eure wohlig-gemütliche Situation zu Hause zu schätzen!

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